Tooltime

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2013/12/07 von Jörn

Wir verlassen den Lago Richtung Süden, direkt hinter dem See fällt das Land steil zu Küstenebene ab und auch Klima und Trachten ändern sich schlagartig. Waren „oben“ nur traditionelle Muster zu sehen (vor allem bei den Mädels) sind nur ein paar Meter weiter westliche Kleider und Jeans angesagt, ein ziemlich markanter Unterschied, der sich bis zum nahen El Salvador noch verstärken soll. Guatemala hat mir gut gefallen, viel besser als sein Ruf und mit einigen Naturschönheiten die man sich ein bisschen verdienen muss, kribbelt Guate wesentlich mehr als seine nördlich Nachbarn. Wir haben uns entweder in den touristischen Brennpunkten oder im Hinterland aufgehalten, die großen Städte umgangen und uns (vielleicht deshalb) niemals unsicher gefühlt. Auf die allgegenwärtigen Topes, die sogar auf den miesen Pisten liegen (auf denen man eh nicht schneller als 20km/h fahren kann!), kann ich sehr gut verzichten, ebenso auf die wirren Ortsdurchfahrten gänzlich ohne erkennbare Beschilderung, aber wer auf der PanAm auf kürzestem Weg durch das „Land der Bäume“ (so eine der 16 Deutungen der Herkunft der Landesbezeichnung) rauscht hat wahrscheinlich viel verpasst.

Wir verpassen allerdings auch etwas, z.B. Honduras. Termine, Termine, Termine, aber diesmal herrscht erfreulicher Termindruck: meine Mieze kommt zu Besuch! Erst später, jetzt doch wieder früher, aber egal, spätestens Mitte Dezember will ich sie in Costa Rica aus der Quarantäne holen ;-). Also setzten wir sofort auf direkten Kurs Richtung Nicaragua, was in diesem Falle erstmal die Querung von El Salvador (und doch noch einem kleinen Zipfel Honduras) voraussetzt. Beiden Ländern eilt ja ein ziemlich mieser Ruf voraus, korrupte Polizeikontrollen en masse, vor allem die Grenzübertritte werden nun mit jedem Land langwieriger und komplizierter.

Ganz so schlimm ist die Realität dann aber natürlich doch nicht. Wir schaffen die Ein/Aureiseprozedur in unter drei Stunden, ganz ohne die „tatkräftige“ Mithilfe eines Schiebers und die einzige Polizeikontrolle kurz hinter der Grenze will nur die Einreisepapiere auf Vollständigkeit kontrollieren. Die Streife ist auf einem koreanischen Big-bike unterwegs so wird eher über Motorräder und Fußball fachgesimpelt (München oder Dortmund?). OK, der Verkehr nimmt zu und je näher wir der Hondurasgrenze kommen (und erst recht dahinter) wird tatsächlich schneller und aggressiver gefahren, vor allem überholt, als wir es auf der bisherigen Reise gewohnt waren.

El Sunzal

El Sunzal

Dafür kann die Küstenstrasse jeden Moppedfahrer begeistern! Wir nehmen LA Hachadura, einen Grenzübergang südlich der PanAm, und von dort bis La Libertad  ist die Fahrt ein einziges Kurvenschwingen. Links bewaldete Berge, rechts der Pazifik geht’s mit klasse Aussicht und in schönem Schwung um die Ecken … bis plötzlich das Licht ausgeht! Im Dschungel hinter der Kurve versteckt liegen 4 Tunnel, teilweise recht lang, und alle unmarkiert und stockfinster, die dieser Route noch das gewisse „Grusel“-Etwas geben. Natürlich machen die Akkus der Video-Kamera genau jetzt schlapp, aber trotzdem: Fahrtipp!

Auch sonst kann Salvador hier gefallen. Wir finden in El Sunzal, eine winzige Gemeinde die sich ganz dem Wellenreiten verschrieben hat, eine angenehmes Örtchen. Und obwohl es nur zwei Strassen gibt finden fast nicht mehr hinaus ;-).

Reagea-Night

Reagea-Night

Lediglich zwei Dinge kann man hier tun: surfen, oder Surfern beim surfen zuschauen. Wer damit aber zufrieden ist findet hier einen ausgesprochen entzückenden Platz. Hier gibt es Nichts- und doch Alles was man braucht. Ein paar Gringos halten das Preisniveau hoch, aber es gibt eine Eisdiele und im Ecklokal kocht die Oma noch einfache einheimische Kost die klasse schmeckt und in Riesenportionen kommt. Für ein paar Euro kann man eine Hütte 20m vom Strand entfernt mieten und abends dreht der Kiosk die Boxen auf und die Dorfjugend versammelt sich auf den zwei Holzbänken zum trinken und tanzen. Es gibt zwar teure Seafood-Restaurants, aber die meisten Strandbars sind einfach gehalten, viele bieten trotzdem aber, zumindest am Wochenende, Livemusik. Unsere Unterkunft, das „La Guitarra“ bleibt dabei, nomen est omen, salsafreie Zone. Hier sind die Wände der Bar mit Rock-, Blues- und Jazzgrößen und der Weg zum Strand mit „Stars“ geschmückt. Eine angenehme Abwechselung. Und da das Gemeinschaftshaus auch noch

Emilio und ich

Emilio und ich

über einen Pooltable verfügt und dort Revolutionsführer und Menschenrechtler die Wände schmücken gibt’s von mir das Prädikat „Ausgezeicht“. Wieder und wieder verlängern wir unserer Bungalow, genauso wie es uns der Hausmeister am ersten Tag prophezeit hat. Irgendwie ist das Feeling in Salvador anders als in den Nachbarländern (zumindest an der Küste), schlecht zu erklären, aber die Salvadoris scheinen einfach einen Tick freundlicher, offener zu sein. Uns gefällts nur zu gut.

Niemand hätte jedoch geahnt worin dies gipfeln soll: Freitagnachmittag in der Hängematte bereite ich mich mental für den Abend vor. Plötzlich aus der Ferne heftige Gitarrenklänge, offensichtlich ein Rockband-Soundcheck. Elektrisiert spring ich auf, dies sind eindeutig die Gitarrenläufe zu „The Pot“ von Tool. Nun hält mich Nix mehr in der Matte. Aufspringen, die Strasse ablaufen und aushorchen aus welchem Schuppen die Akkorde quellen. Ich finde tätowierte Menschen in schwarzen Klamotten – tatsächlich bereitet gerade in der Psychodelic- Kneipe gegenüber ein Tool-Tribute-Kollektiv aus der Hauptstadt seinen heutigen Auftritt vor. Abends sind wir pünktlich zum ersten Ton vor Ort. Schlagzeug und Bass wechseln mehrmals, so das plötzlich sogar ein Danny Trejo -Lookalike zur Fünfseitigen greift und die filigranen Bassläufe der Aenima durchpumpt- ziemlich schräger Anblick. Aber egal wer spielt, der Sound kracht erstaunlich mächtig ins Gebälk und die Jungs müssen sogar zwei Songs als Zugabe wiederholen. Ich kann’s nicht fassen, wir sind in El Salvador in einem 500-Seelen-Nest an der Pazifikküste und, fast nebenbei, gibt uns eine Band den Thinking Man’s Metal live und absolut tadellos – geht’s krasser? Gänsehaut bei 30°C!

 

Mehr Bilder wie immer unter https://moppedrun.wordpress.com/aussichten/zentralamerika/

Ein Kommentar zu “Tooltime

  1. Stephan sagt:

    Hey Jörn,
    ich freu mich jedes Mal wie ein Kind, wenn ich über einen neuen Beitrag informiert werde. Es macht so viel Spass, die Berichte und Bilder zu genießen. Alles ist so lebhaft – ich fühle mich fast wie dabei sein 😉 Weiter so und allzeit gute Fahrt!!
    Liebe Grüße,
    Stephan

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